Der Auswanderer ( Jules Barrois )
Jules Barrois
Der Auswanderer
Sebastiano, ein zwar kleinwüchsiger, sanfter aber trotzdem heißblütiger Italiener, fasste einen Entschluss. Endgültig! Unumstößlich! Denn so konnte es bei Gott nicht weitergehen. Er würde dieses Haus, in dem er mit seinen Eltern sein ganzes Leben verbracht hatte, verlassen. Für immer!!! Nicht etwa, um in das alte leer stehende Häuschen seiner Großeltern drei Kilometer hinaus in die campagna – aufs Land zu ziehen. Das hatte er einmal gemacht, wenn auch nur für einen Tag. Nein, diesmal war es ihm wirklich ernst. Mindestens in die Provinzstadt am Meer sollte es gehen. Nein, das war nicht weit genug. Besser in eine der größeren Städte – Bologna oder Milano – von denen er schon viel gehört hatte. Oder gar all`estero – ins Ausland -, Frankreich oder Deutschland. Seine Eltern hatten viele Bekannte und Freunde in Deutschland. Ja, Germania, das war die Lösung.
Hier wollte er nicht einen Tag länger bleiben. Sein Cousin Elia ging ihm ganz gehörig auf den Senkel, dieser Wichtigtuer und Schleimer, der immer so tat, als ob er hier der Herr im Hause wäre und alles bestimmen und das große Wort führen könnte.
Und seine Freundin Amalia stellte sich jetzt, wo sie sich fast täglich sahen, als in höchstem Maße anstrengend heraus.
Nein, er würde keinem etwas sagen und sich auch von keinem verabschieden. Noch vor dem Mittagessen würde er verschwunden sein.
Er fing an seinen Rucksack zu packen – zwei Unterhosen, zwei T-Shirts, seine kurzen Shorts und die Jeans. Eine kaum angebrochene Schachtel seiner Lieblingskekse. Nachher würde er in der Küche noch zwei Dosen Thunfisch und eine Packung Spaghetti einpacken und ein bisschen prosciutto und formaggio.
Die ganz neuen Jeans und das neue Hemd zog er gleich an, band sich die Riemen seiner neuen Turnschuhe. Darüber zog er das Sweatshirt der NY-Soccers, seines Lieblingsvereins. Er wusste es nicht so genau, aber mit Sicherheit waren in Deutschland die Temperaturen tiefer als hier. Also noch zur Vorsicht den warmen Fleece Pulli in den Farben vom AC-Milan in den Rucksack.
Eigentlich war er fertig. Er ging noch einmal alles durch: Geld hatte er in seinem Beutel, Rucksack gepackt. Wenn jetzt seine Mutter aus der Küche in den Garten ging um dragoncello – Estragon – für die Carbonara zu holen, würde er schnell die paar Sachen aus dem Küchenschrank nehmen und dann verschwinden.
Der Duft der Carbonara zog bis in sein Zimmer. Sehr verführerisch.
Die Tür ging auf. Seine Mutter steckte den Kopf rein: „Essen ist …“ hob sie an, „… was hast du denn an? Das sind doch die neuen Sachen, die wir für deinen ersten Tag im asilo – im Kindergarten – gekauft haben und das neue Rucksäcklein hast du auch schon gepackt. Sehr brav. Du kannst es wohl gar nicht erwarten. Aber der Kindergarten fängt erst morgen an.“
„Komm zum Essen. Amalia ist auch gerade gekommen. Und streite nicht wieder mit ihr wie gestern Abend. Sie wird doch erst im nächsten Frühjahr zwei und du wirst nächstes Jahr doch schon vier.
Na gut, dachte er. Er würde sich morgen mal den Kindergarten anschauen und nachher besonders nett zu Amalia sein. Auswandern konnte er auch noch übermorgen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Aber jetzt erst mal Spaghetti carbonara essen.
weitere Informationen über den Autor:
Dipl.rer.pol. Jules Barrois – Danziger Str. 14 – 66663 Merzig
Telefon 06861-9086260 http://www.barrois.de – jules@barrois.de