Der Krug – eine Kurzgeschichte von Heike Altpeter

Der Krug

von Heike Altpeter

Eigentlich waren wir eine ganz normale Familie, wenn man einmal davon absah, dass bei uns keiner so richtig Alterte.

Nun wie soll ich das erklären? Wir wurden älter, aber eben viel langsamer als andere Menschen und, und das war das Besondere, wir waren nie krank. Ich jedenfalls kann mich nicht daran erinnern jemals einen Schnupfen oder Husten oder sonstiges gehabt und gesehen zu haben. Meine Großmutter war stattliche 103 Jahre, immer noch agile, arbeitete wie eh und je in ihrem Antikhandel und trank jeden Tag Wasser aus dem alten Glaskrug, der wie gewöhnlich in der Küche seinen Platz hatte.

Mein Junge“, so fing sie jedes Mal an, wenn ich danach fragte. „Mein Junge, denk daran, jeden Tag drei Gläser Wasser aus diesem Krug und dir wird es an nichts fehlen. Also bitte gib auf ihn Acht und befüll ihn regelmäßig. Versprochen?“

Ja, Omi, versprochen!“ Mehr war nicht aus ihr heraus zu bekommen. Egal wie ich das Gespräch begann, egal was ich fragte. Das war alles was sie mir je zu diesem Krug erzählte.

Früher, als ich noch klein war, dachte ich der Krug wäre verzaubert. Dann war ich mir sicher, dass Omi irgendetwas in den Krug tat bevor sie Wasser dazu füllte. Aber seit ich den Krug füllen musste…

Irgendwann hatte ich aufgehört darüber nachzudenken. Der Krug stand an seinem Platz und das würde sich nicht ändern.

Jeder von uns trank sein Wasser, täglich und es schmeckte hervorragend. Anders als das Wasser, das aus dem Wasserhahn lief. Mal glaubte ich einen leichten Zitronengeschmack wahrzunehmen, mal schmeckte es mehr nach Waldmeister, scheinbar so wie gerade meine Gelüste waren.

Mein Vater, sah mit seinen siebzig Jahren aus wie vierzig. Meine Mutter, dreiundsechzig wie fünfunddreißig und ich, Gott erhalte diesen Zustand, wie zwanzig, obwohl ich gestern fünfundvierzig geworden war. Unglaublich!

Das Leben war so besonders, so schön ohne die Alterswehwehschen.

Jeder von uns ging seiner Arbeit nach, jeder von uns lebte sein Leben, jeder von uns verschwieg unser Geheimrezept.

Wie machen Sie das nur“, wurde meine Mutter oft gefragt. „Gesunde Ernährung, genügend Schlaf, ausreichend Sex.“ Kopfschütteln und ein ungläubiges Lächeln war die übliche Reaktion.

Mein Vater hingegen überzeugte durch seinen Sport und seine absolute Alkoholabstinenz. „Tja mein Lieber, mach du erst mal jeden Morgen vor dem Frühstück hundert Liegestützen und geh viermal in der Woche zwanzig Kilometer laufen, dann siehst du auch so aus!“

Ich jedoch erzählte jedem, der fragte, es läge allein daran, dass ich täglich meditiere, nicht dem ausschweifenden Nachtleben frönte und mir die Frauen sorgsam einteilte.

Nur Omi, blieb dabei, dass es allein den drei Gläsern frischen Wassers zuzuschreiben wäre, dass sie so alt werden durfte und immer noch eine jugendliche Ausstrahlung hätte.


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